Philipp, The Better Life Guy. (M)Ein Nachruf.

Vor diesem Tag habe ich mich gefürchtet. Der Tag, an dem Philipp Mickenbecker von uns geht. Und jetzt ist er gekommen (✝ 09.06.2021). Ich empfinde tiefe Trauer, Wut, Enttäuschung – und dann plötzlich nichts. Mein Herz ist taub, der Schmerz betäubt, eine emotionale Ohnmacht, eine Schockstarre, aus der ich mich in den nächsten Tagen vermutlich nach und nach befreien werde. Und dann?

Ich hoffe auf Dankbarkeit. Denn Dankbarkeit ist das, was ich in Bezug auf Philipp empfinden sollte und möchte. Dankbarkeit dafür, dass ich ihn kennenlernen durfte, aber auch dafür, dass Gott ihn überhaupt erschaffen, erdacht und erwählt hat. Wie genial ist das denn bitte?!

Und genau daher rührt auch der tiefe Schmerz, den man nicht in Worte fassen kann. Denn so jemanden wie Philipp gehen zu lassen – das ist großer Mist. Das schmerzt so unglaublich, dass ich Wut in mir aufsteigen fühle – auch auf Gott, dass er, der Philipp so genial gemacht und erdacht hat, ihn viel zu früh hat gehen lassen.

Ja, Philipp ist jetzt an einem besseren Ort, ohne Frage. Aber die Lücke, die er hinterlässt, ist größer als das Loch in seinem Brustkorb, das er zuletzt hatte. Es ist als hätte er mit seinem Tod unsere Herzen herausgerissen. Und diese innere Zerrissenheit ist es vermutlich auch, die diese innere Leere hinterlässt.

Natürlich geht das Leben weiter. Und ja, es werden auch wieder schöne Tage kommen. Aber heute ist ein Tag der Trauer, trotz Sonnenschein. Und so möchte ich an der Stelle einmal innehalten und Revue passieren lassen, was Philipp in mir bewegt hat und warum mich sein Leben, aber auch sein Tod, so sehr berührt.

Als ich Philipp am 9. August 2020 das erste Mal traf, war ich erstaunt und positiv beeindruckt, wie geerdet er – und sein Bruder Johannes – war. So normal, so bodenständig. Keine Starallüren trotz der immensen Reichweite auf YouTube. Und dann das Gespräch. Ich nahm einen Podcast mit ihm und Johannes auf – und auch da war ich zutiefst erstaunt und beeindruckt, welchen Tiefgang die beiden an den Tag legten.

Kaum war das Mikrofon aus, starteten die richtig tiefen Gespräche. Über ernste Themen, wie er sie zuletzt auch auf dem Life Lion-YouTube-Kanal aufgegriffen hatte. Philipp nahm sich einfach die Zeit, an diesem Sonntag, obwohl eine Menge anderes los war. Er war voll da, präsent, ganz in seinem Element.

Kurz nachdem ich fürs Vorgespräch mit den beiden Zwillingen einen Videocall hatte (übrigens eines der coolsten Vorgespräche, die ich je hatte!), lud Philipp mich zur Islandreise ein. Wir kannten uns damals noch gar nicht, waren uns noch nie persönlich begegnet. Wow, was für ein Vertrauensvorschuss! Leider konnte ich an der Reise aus diversen Gründen nicht teilnehmen, auch wenn es eine knappe Entscheidung war und mir die Absage sehr schwerfiel.

Umso dankbarer war ich, als ich hinterher nochmal mit Philipp reden durfte. Denn auch das war Teil unseres Nachgesprächs, nach dem ersten Podcast mit ihm und Johannes: Philipp erzählte mir, dass er wieder Krebs habe. Zum dritten Mal. Und das veränderte natürlich alles.

Damals war mir nicht klar, dass Philipp die Islandreise auch als Abschiedsreise antrat, zumindest existierte die Option bei ihm im Hinterkopf. Aber Gott war noch nicht fertig mit ihm, Philipps Zeit war noch nicht gekommen.

Und so kam es, dass ich mich anschließend noch viermal mit ihm treffen sollte. Beim ersten Mal, am 17. September 2020, nahmen wir ein Gespräch über seine Krebserkrankung auf, über seinen Glauben, über Gott, über Heilung. Die richtig großen Themen also. Keine Frage war Tabu, das war meine Bedingung. Und Philipp hatte kein Problem damit. Im Gegenteil: Er hatte geniale Antworten. Und da wir das Gespräch aufzeichneten, beschlossen wir später, das Gespräch als Auftakt des Life Lion-Podcasts zu veröffentlichen. Welch eine Ehre!

Vor dem Gespräch hatte Philipp eine schlechte Nacht hinter sich und es ging ihm nicht gut. Am Vormittag waren wir für eine Reportage verabredet und ich diesmal als Fotograf mit dabei. Philipp ließ sich von seinem Gesundheitszustand nichts anmerken, war freundlich und präsent wie immer. Auch im Gespräch später, das wir in seinem Zimmer aufzeichneten.

Sein Zimmer. In einer YouTube-Doku ist es ganz gut zu sehen, ansonsten hätte ich es nicht erwähnt. Aber sein Zimmer ist sehr schlicht. Ein Kellerzimmer mit ausreichend Tageslicht, das durchs Fenster den Raum erhellt. Mit einem riesigen Adler an der Wand. Erst später erfuhr ich in einem Life-Lion-Video, dass er selbst diesen Adler gemalt hatte. Philipp und seine Hidden Talents. Er war immer für eine Überraschung gut.

Am 5. Oktober 2020 folgte die nächste Begegnung. Aus logistischen Gründen stellte sich heraus, dass es praktischer wäre, wenn wir uns bei mir träfen. Gesagt, getan – und kurz darauf fuhr Philipp zu mir und stand vor der Tür. Einfach so, in seinem schlichten T-Shirt und mit seinem breiten Grinsen. Gut gelaunt wie wir ihn kennen, stand er auch diesmal wieder sowohl vor der Kamera als auch am Mikrofon Rede und Antwort – und aß zu Mittag eine große Portion, die meine Frau uns gekocht hatte. Das werde ich nie vergessen. Wie hungrig er war, und einfach genoss. Obwohl er gerade erst wenige Tage zuvor öffentlich verkündet hatte, dass er wieder Krebs hat. Sein Smartphone war übersäht von Push Notifications. Aber Philipp ignorierte das alles einfach und war voll da, im Hier und Jetzt.

Rund zwei Monate später traf ich ihn am 10. Dezember erneut zum Gespräch. An diese Begegnung kann ich mich ehrlich gesagt kaum noch erinnern, da ich mich in einer sehr stressigen Phase befand, in der ich nach einem sehr vollen und intensiven Jahr schon ziemlich platt war. Einen Tag zuvor war ich drauf und dran, unser geplantes Treffen abzusagen. Im Nachhinein bin ich dankbar, es nicht getan zu haben. Ich weiß noch: Als ich ankam, war Philipp gerade fertig mit einem Interview für die Bild-Zeitung.

Später fragte ich ihn einmal, ob er angesichts seiner gesundheitlichen Situation nicht zu viel Vollgas geben würde mit all den vielen Presseterminen und Auftritten. Da antwortete er nur in einer Sprachnachricht: „Das ist voll das Missverständnis. Gerade die letzten Wochen und Monate waren für mich ganz entspannt. Ich hab da gar kein Vollgas gegeben. Ich hab das richtig genossen. Für mich ist es ja nicht anstrengend, meine Geschichte zu erzählen. Von daher war das richtig entspannt.“

Danach gingen einige Monate ins Land, bis wir uns am 17. März 2021 zum nächsten und letzten Mal wiedersehen sollten. Philipp hatte in der Zwischenzeit einige deutsche Städte und europäische Länder bereist. Weder seine gesundheitliche Situation noch Corona konnten ihn davon abhalten. Furcht, das war echt nicht sein Ding. (Auf die Frage, was sich durch Corona bei ihm verändert hätte, antwortete er ein Jahr nach dem ersten Lockdown nur: „nichts.“)

Als wir uns wieder sahen, ging es ihm nach wie vor erstaunlich gut, trotz seiner Brust, die zu dem Zeitpunkt einem Video nach zu urteilen schon sehr mitgenommen aussah. Philipps positive Art, so voller Hoffnung und Zuversicht, irritierte mich ungemein. Wie kann jemand in solch einer Situation so positiv drauf sein? Dabei bin ich doch wie er auch Christ – und doch forderte mich einerseits Philipps Situation und andererseits sein Umgang damit sehr heraus. Wie würde ich darauf reagieren, wenn ich ähnliches durchmachen müsste wie Philipp? Schwer vorstellbar.

Mit Philipp zu sprechen, war sehr hilfreich, gar heilsam. Denn er schien auf fast alles eine (gute) Antwort zu haben, biblisch fundiert, durchdacht, gut begründet, auch der Ratio standhaltend. Das war praktisch, denn endlich konnte ich mal jemandem die Fragen stellen, die ich auch an Gott hatte – und bekam verständliche Antworten. Schnell, präzise, mal mit Witz, mal mit Herz, stets hilfreich.

Sein Herz. Philipp hatte seine Schwächen, klar. Wer nicht?! Aber Philipp hatte ein großes Herz – und zwar für Menschen, denen große Ungerechtigkeit widerfährt. Davon konnten wir leider viel zu wenig sehen, denn Philipp wärmte sich im Grunde gerade erst auf, war kurz davor, so richtig Gas zu geben und die Welt aus den Angeln zu heben. Aber der Tumor bremste ihn aus. Oder?

Vielleicht war es auch das Bewusstsein seiner möglicherweise begrenzten Zeit, das ihn antrieb und ihn in wenigen Monaten schaffen ließ, was manche in ihrem ganzen Leben nicht erreichen. Philipp erreichte 2020 mehr Menschen mit Jesus Christus in Deutschland als jede andere Person. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Er war damit zeitweise der größte Evangelist unseres Landes.

Und wer glaubt, dass ich ihn nun aus sentimentalen Gründen zu einem Helden hochstilisieren möchte: Zum einen habe ich darüber bereits im vergangenen Jahr geschrieben, diese Aussage ist also keineswegs neu für mich. Und zum anderen war Philipp kein Held – oder wollte zumindest keiner sein. Denn dafür war er einfach zu normal. (Oder sagen wir es mal so: Philipp hatte es nicht nötig, ein Held zu sein. Und wenn wir ihn so genannt hätten, hätte er sicher auf den verwiesen, der der einzig wahre Held ist: nämlich auf Jesus Christus.)

Seine enorme Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwurde, wusste er zu nutzen wie kein zweiter. Aber nicht für sich selbst, sondern für Jesus Christus – und zuletzt auch vermehrt für die Themen, die ihm besonders am Herzen lagen. Allen voran der rituellen Gewalt gegen Kinder. Ein sehr ernstes Thema, wenn nicht das ernsteste, das ich mir vorstellen kann. Aber unerschrocken wie er war, nahm er sich auch diesem Thema an.

Philipp machte keine halben Sachen. Er stellte sich voll und ganz in den Dienst Jesu Christi, und das ehrt ihn. So fromm das auch klingen mag – aber Philipp hob geistlich nie ab. Er verstand es, Geistliches und Gesellschaftliches in Einklang zu bringen, beides glasklar zu sehen und nicht wegzuschauen, wo es unangenehm wurde. Das bewundere ich an ihm.

Neulich sagte ich einem Freund, dass ich aktuell keine Vorbilder hätte und das bedaure. Aber ich habe mich geirrt. Spätestens jetzt ist mir klar geworden, dass Philipp – trotz seines jungen Alters von gerade einmal 23 Jahren – für mich ein Vorbild ist. Seine mutige, unerschrockene und furchtlose Art sind Eigenschaften, die ich in dieser Ausprägung nur selten angetroffen habe. Seine tiefe Entschlossenheit und Selbstlosigkeit fordern mich auf gesunde Weise heraus, inspirieren und regen zur Nachahmung an.

Wir sollten die Zeit auskosten, denn wir wissen nie, wann sie vorbei ist. Ja, auch wir können heute oder morgen sterben. Darauf hat Philipp in Antworten auf die Frage nach dem Zeitpunkt des Ablebens stets hingewiesen. Und diese Antwort sollte uns nicht mit Angst erfüllen, sondern mit dem Willen und der Bereitschaft, Gott voll und ganz nachzufolgen und unserem Nächsten, unseren Mitmenschen mit Liebe zu begegnen.

Als ich gestern mit dem Zug von Liestal (Schweiz) nach Bonn fuhr, musste ich unterwegs weinen. Ich spürte, dass es mit Philipp bald vorbei sein könnte, seine Zeit gekommen sein könnte. Aber als ich am Hauptbahnhof Mannheim um 16:50 Uhr aus dem Fenster schaute, sah ich einen strahlend blauen Himmel, mit saftigen, üppigen Wolken. Ein richtig schöner Anblick! Es war als bereite sich der Himmel auf Philipps Ankunft vor, als werde der Tisch gedeckt, um dort oben eine große Party für ihn zu schmeißen.

Und so sehr mir bei diesen Zeilen auch die Tränen kommen, so sehr glaube ich, dass Philipp sich das auch für uns wünscht: dass wir mit Freude und Zuversicht voran gehen, ganz bewusst im Hier und Jetzt leben und von Zeit zu Zeit immer mal wieder dankbar zurückschauen auf all das, was Gott in unserem Leben getan hat und all die kostbaren Momente, die wir erleben durften – auch mit Philipp.

Philipp hatte uns viel zu sagen, und er hat uns viel gegeben. Er hatte ein unfassbar großes Herz, auch wenn es nicht für alle (Zeiten) reichte. Aber er wies stets auf den hin, dessen Liebe für alle reicht: auf Jesus Christus. Und das reicht. Er hat den guten Kampf gekämpft, seinen Lauf erfolgreich vollendet und der Siegeskranz wurde ihm überreicht. Er hat uns gezeigt, wie das geht, Jesus nachzufolgen, ohne Kompromisse und mit unbändigem Willen und tiefer Hingabe. Das inspiriert uns, das fehlt uns. Philipp, du fehlst uns.

Es gäbe noch viel zu sagen und diese Zeilen, die ich hier schreibe, schreibe ich allein aus therapeutischer Wirkung heraus. Denn ich muss verarbeiten, will verarbeiten. Ich will nicht verdrängen, sondern den Schmerz und die tiefe Trauer, die ich empfinde, zulassen. Ganz bewusst spüren und wahrnehmen. Aber ich will auch wertschätzen, was Philipp alles hinterlassen hat. Und das ist nun mal ne ganze Menge.

Philipp hatte noch einige Träume, die unerfüllt bleiben werden. Das erhoffte Wunder blieb aus, die Wunde in unseren Herzen jedoch nicht. Es gab so vieles, was Philipp noch erleben wollte, was er noch bewegen wollte – aber Gott hatte andere Pläne. Wir können uns jetzt nicht mehr an Philipp hängen, sondern müssen unsere eigenen (Glaubens)Schritte gehen.

Philipps Tod ist ein Weckruf. Ein Weckruf an uns alle, sein Erbe fortzuführen, das zu tun, was er den Vater im Himmel hat tun sehen. Meine Frau Debora sagte es vorhin sehr treffend: „Es ist an der Zeit, dass wir wieder selbst aufstehen und unsere Stimme erheben.“ Das jedenfalls hat uns Philipp täglich vorgelebt – und ich bin davon überzeugt, dass er uns genau dazu ermutigen möchte.

Philipp, du warst, bist und bleibst für mich The Better Life Guy, ein Mensch, der sich für ein besseres Leben aller eingesetzt hat, der mich zu einem besseren Leben angespornt hat und der jetzt selbst ein besseres Leben führen darf, dort, wo ich dich eines Tages wiedersehen werde und wo kein Leid und kein Schmerz sein werden. Danke für dieses Vorrecht, für dieses Vorbild, lieber Philipp.

„Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein.“

Offenbarung 21, 4

One more thing

Philipp war ja ein großer Fan davon, ab und an die Bibel aufzuschlagen und das erste, was ihn ansprang, als Antwort auf seine Fragen an Gott zu verstehen. Um das zu ehren, hatte ich den Eindruck, das auch tun zu sollen. Das ist die Bibelstelle, die ich aufschlug:

„Der Herr spricht: ‚Die Schwachen werden misshandelt, und die Armen können nur noch seufzen. Darum werde ich mich jetzt erheben und denen Rettung bringen, die bedrängt werden!‘“

Psalm 12, 6

Foto © Daniel Höly

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